Dienstag, 19. Februar 2008

Hugo Stamm schreibt über die Pro7-Zaubershow

Hugo Stamm, der grosse Sektenexperte und letzte Entzauberer der Welt, ärgerte sich wieder einmal über alle Massen. Was sich die Leute nicht alles auftischen lassen! In dieser Magieshow bei Pro7 zum Beispiel. Da heisst ein herkömmlicher Scharlatan seine Assistentin, aus einer Kiste das fehlende Teil eines Mona-Liste-Puzzles herauszuziehen. Die Zuschauer würde keinesfalls ein metaphysisches Gruseln befallen, schnaubte Hugo Stamm, wüssten sie, was er wusste: Den Trick kann man sich für 499.95 Euro bei Magicshop.com bestellen. Denn in der Box befindet sich nur dieses eine Puzzleteil in hundertfacher Ausführung! Ein Schwindler, und dann auch noch am Fernsehen. 
Aber die Leute, das wusste Hugo Stamm nur zu gut, glauben jeden Blödsinn. Das musste aufhören, also journalistisch aufgedeckt werden. Aufklärung! Hugo Stamm, der grosse Sektenexperte und letzte Entzauberer der Welt, lehnte sich zufrieden in seinen Bürosessel zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Transparenz herstellen, das konnte er gut. Er begann zu schreiben, doch dann befiel ihm auf einmal eine grosse Müdigkeit. Ein Trunk wäre jetzt gut, dachte er sich. Er nahm seine Bürotasse und schlurfte in die Teeküche der Redaktion. Hugo Stamm öffnete den Mixer und gab zwei Froschbeine, einen Schrumpfkopf und zwei Tropfen Katzenblut hinein. Er liess die Mischung lange quirlen und trank das Elixier in einem Schluck. Nun ging es dem grossen Sektenexperten besser. 

An seinem Schreibtisch ordnete er seine Gedanken, ehe er das Telefon abnahm und sich per Telefon Karten legen liess. Das ging auf die Redaktionsspesen und war auch sonst eine beruhigende Abwechslung. Zwischendurch schüttelte er seine Hellseherkugel und sah in seine rosige Zukunft. Den Entzauberern gehört die Zukunft, dachte Hugo Stamm, wem denn sonst. Plötzlich war er wieder voller Tatendrang. Er hängte den Hörer auf und mischte seine Tarotkarten. Ohne zu schauen zog er eine Karte. Es war eine finster dreinblickende Rittergestalt, deren Visage Hugo Stamm ein bisschen an Immanuel Kant erinnerte. Kant, der Aufklärer! Das war auch die Mission von Hugo Stamm, dem grossen Entzauberer. Er wollte die Fernsehzuschauer aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit herausführen. Mona Lisa? Magicshop!

Als sich Hugo Stamm zum dritten Mal überlegte, ob er statt «übersinnlich» doch eher «paranormal» schreiben sollte, zerfielen die Wände seine Büros und gaben für einen ganz kurzen Moment die Sicht auf das Universum frei. 

Etwas geschah. 

Hugo Stamm, der grosse Entzauberer, konnte es sich nicht erklären. Für den Moment einer Sekunde war es ihm, als sei er aus der Welt geschleudert worden und hätte von einem Ort auf die Menschen geblickt, an dem sich alle Widersprüche auflösen. Da war es, ganz kurz: Er hatte alles gewusst, was es zu wissen gab. Er schwebte über den Dingen, schien ein Auserwählter zu sein unter Millionen. War es ein Beben im Raum, war es eine Falte in der Zeit? Hugo Stamm befiel ein metaphysischer Schreck. Er zitterte am ganzen Leib und starrte auf die Wand. Endlos lange sass Hugo Stamm, der grosse Sektenexperte und letzte Entzauberer der Welt, so da. Dann gab er bei «Google» den Suchbegriff «Angst» ein. Das hätte er jetzt nicht tun sollen. 

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